In den vergangenen zehn Jahren hörte ich immer wieder die kühne Behauptung, man brauche das Tippen mit dem Zehnfingersystem nicht mehr zu lernen, da es schon bald durch die Technik der Sprachaufzeichnung ersetzt wird. Erst neulich hatte ich eine Diskussion mit der Mitarbeiterin eines IT-Unternehmens mit etwa 1.000 Nutzern. Sie behauptete, das Zehnfingerschreiben sei nicht mehr nötig; ein befreundeter Rechtsanwalt erledige nämlich seine gesamte Korrespondenz mit einem elektronischen Diktiersystem. Auf meine Frage, warum ihr eigenes Unternehmen denn noch keine Sprachaufzeichnung einsetze, sondern immer noch die Tastaturerfassung nutze, schaute sie mich erstaunt an und konnte mir keine Antwort geben
Ohne Zweifel ist die Spracherkennung ein großartiges Hilfsmittel, zum Beispiel für einen Autor, der alleine in seinem Büro sitzt.
Aber sehen wir uns doch einmal genauer an, warum die Sprachaufzeichnung noch nicht die Arbeitswelt erobert hat, obwohl sie schon seit Jahrzehnten auf dem Markt ist. Dafür gibt es viele Gründe, von denen wir hier nur einige nennen werden.
Der Hauptgrund ist, dass man das System mündlich „füttern“ muss. Viele Mitarbeiter arbeiten in einem Großraumbüro. Stellen Sie sich den Lärm vor, wenn alle Nutzer den ganzen Tag sprechen, um ihre Korrespondenz ins System einzugeben. Abgesehen von dem Geräuschpegel, fügt das System oft Text ein, der von jemandem gesprochen wird, der direkt neben der Person sitzt, die ihren Text in den Computer diktiert. Dadurch entstehen Überschneidungen mit seltsamen Satzgebilden, die man manuell korrigieren muss. Der männliche Name Karim, zum Beispiel, wird leicht als weiblicher Name Karin interpretiert. Stellen Sie sich nun vor, Sie heißen Karim und erhalten einen Brief, der Sie mit „Liebe Karin“ begrüßt und eine Probepackung Damenbinden enthält. Das ist kein Scherz, es ist wirklich passiert!
Ein weiterer Nachteil der Sprachaufzeichnung ist, dass alle Anwesenden um Sie herum zuhören. Ob Sie wollen oder nicht, Sie müssen dem Gespräch lauschen, wenn jemand direkt neben Ihnen am Telefon spricht. Daher muss vertrauliche Korrespondenz in den PC getippt werden, wenn anderen Personen neben Ihnen sitzen. Wie sollte ein Anwalt den Sprachrekorder im Wartebereich eines Flughafens oder in einem Zug nutzen?
Es gibt Aufgaben, bei denen Sie die Sprachaufzeichnung einfach nicht verwenden können, zum Beispiel, wenn Sie an einem Informationsschalter arbeiten. Nimmt man einen eingehenden Anruf mit einem Headset entgegen, kann man die Diktierlösung nicht verwenden, um Notizen des Anrufs anzufertigen. Eine unserer Kundinnen ist Psychologin und erzählte mir, dass sie die Sprachaufzeichnung nicht verwenden kann, wenn ihre Patientin oder ihr Patient ihr gegenübersitzt. Denn dann kann sie nicht ins System diktieren: „Der Patient ist ein Psychopath…“, ohne dabei ihr Leben zu riskieren.
Neulich habe ich in einem Kurs den Vortrag fast Wort für Wort abgetippt. In einem eher langweiligen Moment kam ich auf die Idee, die Qualität des elektronischen Aufnahmegeräts zu testen, das in meinem Programm integriert ist. Da ich im Konferenzraum aber keinen Internetanschluss hatte, erhielt ich die Nachricht, dass ich erst online gehen müsse, um diesen Dienst zu nutzen. Also ging ich wieder zum Tippen über. Außerdem stellte ich mir den Fall vor, wenn 26 Teilnehmer die Sprachaufzeichnung nutzen würden. Natürlich können sie das nicht! Stattdessen haben 23 von ihnen ganz klassisch Stift und Papier benutzt, und drei junge Leute (in ihren 20ern) schrieben mit einem Tablet-Stift auf ihren elektronischen Pads. Wenn es im Hörsaal völlig still ist und nur der Dozent spricht, kann man eine Diktierfunktion nicht verwenden, um Notizen zu erstellen.
Unsere Kunden, die verschiedene Sprachaufzeichnungssysteme einsetzen, haben uns erzählt, dass sie das Zehnfingersystem lernen wollten, da die Aufnahmetechnik eines gesprochenen Textes für ihr Fachgebiet nicht geeignet sei. Sie müssten dem Programm erst einmal alle Fachwörter „beibringen“, zu viele Korrekturen vornehmen und hätten zudem mit verschiedenen technischen Problemen zu kämpfen.
Ich habe ein Programm getestet und musste sehr langsam und deutlich diktieren. In diesem Fall hätte ich den Text viel schneller tippen können, da ich ihn nicht laut aussprechen musste. Ich kenne die Wörter in meinen Gedanken und gebe sie so ein, wie sie mir in den Sinn kommen. Daneben gibt es noch viele andere Nachteile.
Einige Programme bieten automatische Transkriptionen an, die während Sitzungen, Kursen oder Veranstaltungen automatisch angefertigt werden. Jeder, der die Textabschriften liest, wird zu schätzen wissen, wie viel Arbeit es ist, die Niederschrift zu überprüfen und alle Änderungen von Hand vorzunehmen. In dieser Zeit hätte ich den gesamten Inhalt bereits abgetippt.
Fazit: Solange man mit dem Zehnfingersystem schneller und genauer ist als mit der Sprachaufzeichnung, sehe ich keinen Vorteil darin, es zu benutzen. Daher glaube ich, dass es für PC-Nutzer nach wie vor unerlässlich ist, das Zehnfingerschreiben zu lernen.
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